Publiziert am Januar 28, 2024 von noki
Wenn man von der Bundesstraße kommend auf der in den Ort führenden Dorfstraße das Denkmal für die Gefallenen der Kriege erreicht hatte, blickte man auf der rechten Seite in den Schulhof hinein. Er war von hohen Bäumen umsäumt, verbreiterte sich nach Westen und gab den Blick frei auf das quer dazu liegende Schulhaus.
Bei dieser Stellung hatte ich hinter mir die Stellmacherei von Otto Müller. Auf der nördlichen Seite führte ein Weg – heute „A`n Tiebarg“ genannt – am Schulhof vorbei.
Die Bezeichnung „Tiebarg“ ist aus der Gründung dieses Dorfes überliefert. An diesem höchsten Punkt des Dorfes befand sich in vorchristlicher Zeit der Thingplatz. Hier wurden die Götter angerufen, wurde beraten, verhandelt, gerichtet und auch gefeiert. An solchen exponiert gelegenen heiligen Plätzen wurden im Zuge der Christianisierung allgemein die ersten Kapellen und Kirchen gebaut. In Lentföhrden fand sich über die Jahrhunderte keine Mehrheit für den Bau einer Kirche. Hier wurde 1903 der Neubau des Schulhauses errichtet.
Gleich an der rechten Seite des einbiegenden Weges lag der Hof von Tönje Peters, an dessen Stelle vordem die alte Schule stand.
Auf der Höhe des Schulgebäudes befand sich an diesem Weg die Bäckerei von Willi Hars, ihr schräg gegenüber die Kate von Jakob und Marie Rickert. Marie war unsere Schulreinmachefrau. Mir wurde sie bald Tante Rickert, die ich manchmal ins Moor begleitete, wenn sie das Mittagessen ihrem Mann brachte, der dort den Torf stach. Bei ihr aß ich den leckersten Grünkohl aus der Pfanne.
Auf der südlichen Seite des Schulhofes führte außerhalb der Baumreihe ein einspuriger Weg am Garten und den Gebäuden von Meierei und Mühle vorbei zur südlichen Giebelseite des Schulhauses. Dort stellte er die Verbindung vom Schulhof zu dem rückwärtigen, auf der Westseite gelegenen Eingang in die Schulklassen her. An dem Torfschuppen vorbei führte er weiter abwärts auf den Hauptweg, an dem die Schmiede von Wilhelm Mohr und die Stellmacherei von August Mohr lagen.
Auf der Nordseite des Schulgebäudes befand sich die Wohnung des Schulleiters Matthias Foderberg und seiner Frau Emmi in Nachbarschaft zur Bäckerei Hars. Sie bestand aus vier Räumen. Im Bereich dieser Wohnung befand sich ein Vorgarten, gegenüber dem Schulhof durch einen Zaun geschützt. Von den zwei Fenstern des Wohnzimmers schaute man über den Vorgarten auf die nördliche Hälfte des Schulhofes.
Der Eingang in diese Wohnung und in die im Dachgeschoß liegende Wohnung befand sich auf der Giebelseite.
Auf dem Weg in den westwärts gelegenen großen Garten kam man an der stillgelegten Pumpe für das ganze Schulhaus vorbei und gelangte zu dem kleinen Wirtschaftgebäude, in dem sich die Waschküche mit einer weiteren Pumpe für beide Lehrerfamilien sowie die Toilette und die Stallung des Ehepaar Foderberg befand.
Der 1903 vorgenommene Schulneubau mit nur einem Klassenzimmer war ein Winkelbau, denn auf der Westseite der beschriebenen Wohnung schloß sich das Klassengebäude mit einem Giebel zum östlich gelegenen Schulhof an. Vier große Fenster wiesen auf den Schulhof, im unteren Teil mit Milchglasscheiben ausgestattet.
Darüber befand sich ein Zimmer mit zwei Fenstern, in dem Anna Wrage –unsere „Oma Drage“ – wohnte. Sie war die Mutter vom Malermeister Johannes Wrage und Großmutter von Gertrud Wrage- später mit Karl Podlesch verheiratet – und ihrer vier Geschwister.
1910 erfolgte die Erweiterung der Schule um ein Klassenzimmer gleicher Größe, also
9 x 6,40 m. Der Platz dafür war offensichtlich schon beim ersten Bauabschnitt eingeplant, denn in Flucht zur neuen südlichen Giebelwand war der Torfschuppen schon beim ersten Ausbau errichtet. Er hatte etwa die Abmaße von 5 x7 m in der Grundfläche und etwa 3 m in der Höhe und war holzverkleidet, um eine gute Durchlüftung zu gewährleisten. In der dem Schulgebäude zugewandten Giebelwand befand sich im oberen Teil eine Luke für den Einwurf des Torfes vom Lieferwagen. Zur Entnahme diente eine auf der Nordseite eingebaute Tür.
Nach Westen war dieser Bau massiv um einen Geräte- und Schweinestall erweitert. Der Schweinestall war allerdings in einen Hühnerstall umfunktioniert.
Hinter diesem Stall befand sich in mittiger Verlängerung nach Westen das etwa 4 m breite und etwa 4 m lange hölzerne Toilettengebäude oberhalb einer Fäkaliengrube. Auf der Nordseite gab es eine Toilette für die Mitbewohnerin im Dachgeschoß der Wohnung des Ehepaares Foderberg, Anna Wrage, 1 Toilette für die Familie Hell und die restlichen Toiletten für die Jungen. Die auf der Westseite, also am südlichen Wirtschaftsweg gelegenen Toiletten standen den Mädchen zur Verfügung.
Der Freiraum von etwa 4 m zwischen diesem Wirtschaftgebäude und dem Zaun des Gartens vom Schulleiters Foderberg diente dem Zugang zu den Toiletten und war der Spielplatz für meine zwei Jahre jüngere Schwester Ingrid und mich. Hier war auch ein kleiner Sandhaufen zum Spielen.
Ebenfalls befand sich am westlichen Ende ein Hühnerauslauf, der nach dem Neubau des Wirtschaftgebäudes für Familie Foderberg unserer Familie zur Verfügung stand. Unsere Hühner gelangten über eine vergitterte Stiege oberhalb unseres Sandhaufens in einer Höhe von etwa 2 m in den Auslauf, denn der Zugang zu den Toiletten mußte gewährleistet sein.
Das Ambiente war wohl maßgeblich beteiligt daran, daß ich sehr gern den Sand aß.
Der Garten des Schulleiters erstreckte sich über die gesamte verbliebene Breite des Schulhauses und hatte eine Gesamttiefe von etwa 30 Metern. Von dem eben beschriebenen Klassenvorhof führte durch eine Pforte im soliden Zaun mit weiß gestrichenen Pfählen und Oberlatten am Haus entlang ein Weg, auf dem meine Eltern zu dem neu errichteten Wirtschaftsgebäude zum Wasserholen und zum Wäschewaschen gelangten.
In Höhe unseres Hühnerauslaufes befand sich im Garten auch die Garage für den PKW des Ehepaares Foderberg. Der kleine Hanomag war einer von nur etwa fünf Wagen in der Gemeinde. Der Zweisitzer bot sehr originell zwei zusätzliche Sitzplätze nach dem Öffnen der Heckklappe.
Der große Garten hatte einige Obstbäume. Im Übrigen habe ich keine Vorstellung von seiner Gestaltung, Wir Kinder durften ihn nicht betreten, obgleich dazu häufig Gelegenheit gewesen wäre beim Besuch von Frau Foderbergs Nichten Ursula und Gisela Schade, die gern mit uns spielten.
Unser sonst guter Kontakt zu Frau Foderberg ist auch daran zu erkennen, daß ich etwa im vierten Lebensjahr Zweifel an der Echtheit des alljährlich bei uns erscheinenden Weihnachtsmannes bekam, weil ich festgestellt hatte, daß „der Weihnachtsmann die gleichen Hände wie Tante Foderberg“ hätte.
Meine Eltern erhielten nach langem Warten schließlich von der Gemeinde unten an der westlich gelegenen Dorfstraße einen Acker als Gartenland angeboten, den sie dann auch gut bewirtschafteten. Viele Aufnahmen zeugen davon, daß von unserer Familie der Klassenvorhof bis zum Hühnerauslauf an sonnigen Tagen genutzt wurde. Alternativen dazu standen nicht zur Verfügung. Ich selbst habe schöne Erinnerungen an diese Zeit.
Von diesem Hof schaute man in östlicher Richtung direkt auf die Eingänge zu den zwei Vorräumen und den Klassenräumen. Denen war ein kleiner Windfang vorgelegt, den man über etwa 4 Stufen einer über die ganze Breite gezogene, massive Freitreppe erreichte.
Jeder Vorraum hatte etwa die Abmaße von 4,5 x 5 m und diente der Aufnahme der Oberkleidung und dem Aufenthalt der Schüler vor dem Einlaß ins Klassenzimmer. In den Vorraum der Oberklasse hatte Herr Foderberg von seiner Wohnung aus einen direkten Zugang.
Vom Vorraum der Unterklasse führte auf der rechten Seite eine Tür in das Schlafzimmer unserer Familie. Links vor dieser Tür befand sich die Treppe mit Absatz zu unseren oberen Räumen. Die Wohnung des Junglehrers hatte im Vergleich zu der seines etwas älteren Kollegen einen eher öffentlichen Charakter.
Das Schlafzimmer hatte zwei große Fenster auf der Südwand, was auch heute nach dem Umbau außen noch deutlich am Mauerwerk erkennbar ist. Es war ein freundliches Zimmer für die Eltern und die nachwachsenden zwei Kindern.
Meine Schwester und ich wurden in diesem Raum geboren. Man kann sich gut vorstellen, wie die Kinder in den der Geburt folgenden Tagen gedrängt haben, das Neugeborene sehen zu dürfen.
Als ich mit den unumgänglichen Kinderkrankheiten mit Fieber im Bett lag, hat mich der Lärm in den Pausen belastet. Nachdem ich fieberfrei war habe ich mich über den laufenden Besuch meiner Spielkameraden gefreut. Gut kann ich mich auch an das Geplapper der Mädchen in den Pausen erinnern, weil sie gern die sonnige, warme Lage der Südwand unterhalb des Schlafstubenfensters als Aufenthaltsort wählten.
Das Schlafzimmer bot Platz für zwei große Betten mit nebenstehenden Nachttischen, einen Kleiderschrank, eine Waschkommode und zwei Kinderbetten. Wir wuschen uns morgens also am Waschtisch. Das Wasser stand immer in einer Karaffe bereit.
Einen kleinen Ofen hätten wir wohl anschließen können, doch das wäre in der Enge zu gefährlich gewesen. Im Winter legte unsere Mutter in jedes Bett einen im Backofen der Küche erwärmten Schamottestein, der in Zeitungspapier eingeschlagen wurde.
Von dem Treppenauslauf im Obergeschoß kam man auf gewachsten Holzdielen zu Wohnzimmer und Küche. Das Wohnzimmer war mit etwa 4,5 x 5 m Grundfläche und voller Deckenhöhe sehr ansprechend und von den Eltern mit gediegenen Möbeln ausgestattet. Zwei große Fenster boten einen guten Ausblick auf den großen Schulhof und bei unbelaubten Bäumen auf die Dorfstraße. Zwischen der Eingangstür und der Tür zur Küche stand der Ofen.
Die Küche hatte ebenfalls direkten Zugang vom Dachboden und bei voller Deckenhöhe die Abmaße von etwa 3,8 x 4,0 m in der Grundfläche. Zwei Fenster, ebenfalls in Normalgröße, boten nach Süden einen interessanten Blick auf das tief unten liegende Dorf, ebenfalls zum Lager I und ins Moor.
Hier haben wir bei den meist langen verharrenden Gewittern oftmals jeweils voll angekleidet und mit gepackten Notkoffern gestanden und ins Unwetter geschaut. Die Blitze schlugen in unserem Bereich meist in den Blitzableiter am Kamin der Meierei.
In der Küche gab es einen Kochherd, eine Bank für Eimer mit Frischwasser, eine Brennstoffkiste, einen Küchenschrank, einen Tisch und vier Stühle. Sie war überwiegend unser Aufenthaltsort.
Von der Küche führte eine schmale Seitentür in eine offene Dachnische. Dort baute mein Vater einige Borde für Küchengeräte ein. Hier war es auch am Abend dunkel genug, um sein Photolabor einzurichten und die von ihm vielfältig gemachten Aufnahmen zu entwickeln.
Der den Zimmern vorgelagerten Dachboden wurde durch ein Dachfenster oberhalb des Treppenaustritts in der Größe von etwa 30 x50 cm mäßig erleuchtet ebenfalls abends durch eine Lampe. Eine Nische war durch einen blauen Vorhang für uns Kinder als Spielecke eingerichtet.
Der übrige Platz war von zwei großen Wäschetruhen bestellt. In einer Nische unter den Pfannen lagerten wir das für viel Zwecke wertvolle Zeitungspapier, wertvoll für das Einwickeln von Butterbrot bis zum Anzünden von Herd und Ofen
Die Bewirtschaftung war nicht ganz einfach, entsprach aber dem allgemein vorhandenen Standart. Das Wasser mußte in Eimern von der Pumpe im Wirtschaftsgebäude des Kollegen Foderberg geholt werden, also etwa 40 Meter entfernt und dann die Treppe hinauf.
Das Ehepaar Foderberg hatte 1918 eine Pumpe in ihrer Küche erhalten, nachdem die freistehende Pumpe im Garten stillgelegt worden war.
In unserer Wohnung gab es keinen Ausguß, sodaß das gesamte verschmutzte Wasser auch wieder hinuntergebracht werden mußte. Das Seifenwasser wurde meist noch zum Reinigen der Freitreppe benutzt. Ebenfalls wurde der in der Nacht in Nachttöpfen angefallene Urin zu den Toiletten gebracht.
Man kann verstehen, daß unter solchen Umständen sehr mit Wasser gespart wurde. Bei der einmal pro Woche stattfindenden großen Körperreinigung nahmen die kleinen Kinder in der mäßig großen Zinkwanne mit Vergnügen ihr Bad. Das gleiche Wasser benutzten nachher auch die Eltern. Der Aufwand, nochmals Wasser zu holen und dieses auf dem Herd auf eine angenehme Temperatur zu erhitzen, erstickte sogleich diese Alternative.
Sehr aufwendig war auch die Besorgung der Torfsoden in großen Körben in die obere Wohnung und die Entsorgung der Asche nachher. Außer Torf stand meist etwas Sprock – das ist gehacktes Buschwerk- zum Anheizen und eine geringe Menge Braunkohlebrikett zum Halten der Glut über die Nacht zur Verfügung.
Die erforderliche Brennstoffmenge war nicht gering, denn der Brennwert des Torfes war gering und die oberen Räume waren gemäß dem damaligen Standart in den Decken nur durch eine mäßige Lehmschicht isoliert. Die Dachpfannen waren wohl mit Kalkmörtel verschmiert, doch nach einem Schneesturm mußten wir regelmäßig den hereingewehten Schnee an den undichten Stellen umgehend aufnehmen. Es war vorteilhaft für die Lehrerfamilien, daß der Brennstoff durch die Gemeinde gestellt wurde.
Abschießend möchte ich sagen, daß die Wohnverhältnisse nach heutigen Maßstäben nicht einmal Asylanten angeboten werden dürften, zu damaliger Zeit aber– also bis in die Nachkriegszeit vor knapp 50 Jahren – dem allgemeinen Standart auf dem Lande und in den Kleinstädten entsprach. Man erkennt daran, wie rasant sich der Lebensstandart in den Luxus gewandelt hat.
Die Menschen waren damals jedoch zufrieden. Wir haben eine glückliche, unbeschwerte Jugend verlebt, weil es keinen Vergleich mit wesentlich besser situierten Verhältnissen gab.
Der große nach Osten ausgerichtete Schulhof hatte vielfältige Aufgaben. Er diente dem Aufenthalt während der Pausen, vor allem aber der Durchführung des Sportunterrichtes. Hier waren nach der Gründung des Lentföhrdener Sportvereins die ersten Geräte aufgestellt und eifrig genutzt worden. Er wurde besonders um die Zeit des Regierungswechsels 1933 zu Kundgebungen genutzt. Hier stellten sich die Klassen zu Beginn ihrer Ausflüge auf.
Die Unterstufe wanderte mit Lehrer Hell in Marschkolonne und mit Gesang meist in Richtung Waldburg, Alte Landstraße und Bramau. Jeder hatte Proviant dabei. Mir klingen Lieder wie
„Nun ade Du mein lieb Heimatland…“ , „ Im Frühtau zu Berge…“ u.a. noch in den Ohren. Es gab auch Ausflüge mit Pferd und Wagen z.B. zur nur etwa 5 km entfernt gelegenen Bokelner Mühle, an der dann auch Eltern teilnehmen konnten.
Die Oberstufe machte schon größere Ausflüge mit Lastkraftwagen oder Eisenbahn. Höhepunkte waren der Hagenbeker Tierpark und die Hafenrundfahrt in Hamburg.
Von hier starteten auch die Umzüge zum Jahresabschlussfest – dem Vogelschießen – wie auch zum Erntedankfest. Abschluß und Höhepunkt waren die Tanzveranstaltungen im großen Saal der Bahnhofsgaststätten. Nachmittags führten die Kinder dort Reigen und Tänze auf, die meist mit „Du lieber Schuster Du…..“ , „ Wenn hier een Pott mit Bohnen steiht und dor ….“ „ Gah von mi, gah von mi, ick mach di ni sehn…und anderen begannen.